Zeit des Abschieds

Garten
Gestern im Garten

Habe eben lange mit der THP telefoniert. Sie meinte, es könne gut sein, dass Lili ohne Einfluss von außen die Regenbogenbrücke überquert.

Mein geliebter Liebling ist noch anhänglicher als sonst, sie sucht meine Nähe ganz intensiv. Ich werde den Prozess anschauen, hinfühlen und mich geduldig und liebevoll von meiner Katze verabschieden. Zwischendurch werde ich ihr immer wieder ins Öhrchen flüstern, wie sehr ich sie liebe und wie dankbar ich bin, dass sie mich vor 12 Jahren ausgesucht hat. Sie bereichert bis heute mein Leben – diese kleine eifersüchtige, zickige, verschmuste Katze. Solange sie in meinen Armen liegt und schnurrt, geht es ihr nicht schlecht. Ich, wir alle, müssen lernen, dass wir uns von hier verabschieden müssen. Ich werde mir jetzt das „Tibetische Buch vom Leben und Sterben“ aus dem Regal holen und darin lesen.

Momentan liegt Lili auf dem Terrassenstuhl und schläft. Ich gehe öfter zu ihr, kauere mich vor den Stuhl, streichle ihr Köpfchen, und sie schnurrt. In dem eben erwähnten Buch habe ich gerade einen Satz gelesen: „Ein sterbender Mensch muss zuallererst Liebe spüren.“ Ich weiß, dass Lili meine Liebe spürt, und ich spüre ihre. Das Gespräch mit der THP hat mir ein bisschen Kraft gegeben. Sie hat tröstende Worte gefunden. Trost bedeutet nicht Beschwichtigung. Trost bedeutet für mich seelische Unterstützung – in einer Zeit, die sich anders anfühlt als „normale“ Zeiten. Obwohl Zeiten des Abschieds ja auch normal sind. Wir müssen uns ständig von irgendetwas, von irgendjemandem verabschieden. Jede Sekunde findet ein Abschied statt – im Grunde. Aber in unserer westeuropäischen Kultur haben wir den Umgang mit Abschieden nicht gelernt. Wir verdrängen lieber. Das scheint einfacher zu sein. Ist es aber nicht. Auch wenn man seine Gefühle nicht nach draußen lässt – sie sind trotzdem vorhanden. Sie leben im Untergrund. In unserem eigenen Untergrund, wo sie auch aktiv sind, nur eingesperrt und unbeachtet. Ich ziehe es vor, meine Gefühle nicht einzusperren, sondern mich ihnen zu stellen. Sie deutlich wahrzunehmen. Wenn mir Tränen in den Augen stehen, dass ich sie rauslaufen. Das ist aber nicht jedermanns Sache. Als meine Mutter vor Jahren starb, hat die gesamte Familie das ignoriert. Zumindest hat jeder so getan. Ich nicht. Ich habe zwei Tage lang von meiner Mutter Abschied genommen. Das waren zwei sehr intensive Tage, vielleicht die intensivsten Lebens – bisher. Denn nun steht wieder ein Abschied an. Abschied von Lili, meinem geliebten Liebling.

Heute Nacht hatte ich einen Traum: Meine Mutter lag im Sterben. Auf dem Fußboden. Sie bewegte leicht ihre Finger. Ich ging zu ihr, kniete mich neben sie, legte meine Hand unter ihren Kopf und flüsterte in ihr Ohr: „Ich liebe dich!“. Mein Vater, der auch dabei war, meinte zwar, das höre sie nicht, ich habe mich aber nicht davon abhalten lassen. Während ich zärtliche Worte flüsterte, gab sie unverständliche Laute von sich, dann starb sie.
Ich ging in mein (Jugend)Zimmer um meine Freundin anzurufen und ihr zu sagen, dass meine Mutter soeben verstorben sein. Da lag auf dem Bett in meinem Zimmer eine Katze. Lili. Dachte ich. Es war aber nicht Lili, sondern meine Mutter, die Lilis Gestalt angenommen hatte. Und sie lebte. Und sie war zornig. Ich weiß nicht, worüber sie sich geärgert hat in meinem Traum. Aber ich weiß eines: die Liebe zu meiner Mutter und die Liebe zu Lili haben irgendetwas miteinander zu tun. Der Traum zeigte das eindeutig …

Hier noch ein Zitat aus dem Buch – zum Thema Sterbebegleitung, der mich sehr berührt: “ … selbst in die Lage des Sterbenden zu versetzen. Stellen Sie sich vor, Sie lägen dort auf dem Bett, allein, in Schmerzen und den Tod vor Augen. Dann fragen Sie sich aufrichtig: Was würden Sie am meisten brauchen? Was würden Sie sich wirklich wünschen? Was würden Sie von dem Freund am Bett erwarten?“ … Sie werden herausfinden, dass der Sterbende genau dasselbe will, was auch Sie sich am sehnlichsten wünschen: bedingungslos geliebt und angenommen zu werden.“

Nachsatz: Das Gespräch mit der THP war sehr wichtig für mich. Denn als ich sie fragte, wann ich sehen würde, dass Lili leidet, meinte Sie: „Das kann ich dir nicht sagen, das siehst du selbst am besten. Aber wer sagt denn überhaupt, dass sie leiden wird. Sie wird weniger fressen, sie wird weniger trinken und vielleicht findest du sie eines morgens – und sie ist ganz ruhig eingeschlafen. Du musst sie auf diesem Weg begleiten, sie braucht seine Nähe, deine Liebe. Zeige ihr, dass du sie liebst und für sie da bist. Zeige ihr, dass du ihren Abschied akzeptierst.“

Das werde ich machen. Jetzt liegt mein geliebter Liebling auf dem Terrassentisch, halb in der Sonne, halb im Schatten, und ich habe eben ihr Fell gebürstet. Das hat sie sehr genossen. Und jetzt schnurrt sie so laut, dass ich es von zwei Metern Entfernung höre. Und ich habe mir eben die Joggingklamotten angezogen und gehe jetzt eine Runde laufen, im Wäldchen, hinterm Dorf. Vorbei an den drei jungen Schafen, die auf einer Wiese in einem täglich wandernden Gehege das Gras mähen. Lautlose Rasenmäher auf vier Beinen …

8 Kommentare

  1. liebe Renate, das hast Du wunderschön geschrieben und Du weißt wie ich mit Dir fühle. Ich hoffe für Lili und Dich das sie Dich noch lange begleiten darf. Ich denke so oft an Euch und wünsche alles, alles Gute für Lili. Unsere zwei schlummern gerade auch, Lady auf dem Balkon auf einem Stuhl und Maxel hat es sich auf der Couch gemütlich gemacht. Draußen ist es hier heute grau und sehr bewölkt, aber nicht kalt.
    Eine dicke Umärmelung von Christiane und dem Rest

    • Liebe Doris, ich bin traurig! Aber ich freue mich trotzdem, dass sie noch bei mir ist. Ich gehe immer wieder raus und streichle sie zärtlich. Ab und zu stecke ich meine Nase in ihr Fell. Den heutigen Abend wird sie vermutlich wieder auf meinem Schoß verbringen …

  2. Liebe Renate

    Das hast du so schön geschrieben. Die Worte der THP sind sehr einfühlend und wahrscheinlich das Wichtigste jetzt für dich und Lilli: „Du musst sie auf diesem Weg begleiten, sie braucht deine Nähe, deine Liebe. Zeige ihr, dass du sie liebst und für sie da bist. Zeige ihr, dass du ihren Abschied akzeptierst.”

    Dass du traurig bist, ist ja klar in dieser Situation, weine beim Joggen und stärke dich. Beim Sterben der Menschen wird geraten, nicht laut wehklagend am Sterbebett zu verweilen, denn das könnte den Sterbenden aufregen, und es ist wichtig, dass er möglichst in seiner Mitte bleibt und nicht zurückgerufen wird. Ob es bei den Pelznasen ebenso ist, weiß ich nicht. Doch deine THP wird es wissen und wie sie dir gesagt hat, Lilli liebevoll fühlen lassen, dass du den Abschied akzeptierst.

    Hier ein kleines gesungenes Gebet, es wird gesagt, dass jeder der es hört, auch Tiere, eine gute Wiedergeburt erreichen kann (wenn man an letzteres glaubt)
    http://youtu.be/2rqDgQGQchc

    Ich wünsche dir und Lilli alles Gute!
    Herzliche Grüsse
    Elfe

  3. Wir sind sehr gerührt. Den Abschied zu akzeptieren ist wohl das schwerste, aber das muss sein. Ich würde mir auch wünschen, dass ich bis zum Schluss von meinen Lieben umringt bin und ihre Liebe spüren kann.
    Ich drücke euch
    Anja

  4. Es fällt mir ganz schön schwer, diese Zeilen zu schreiben. Abschied für immer von einem geliebten Tier oder Menschen zu nehmen, geht wohl jedem sehr nahe.
    Leider gehört das zum Leben dazu, auch wenn wir es gerne weit von uns schieben.
    Lili sucht jetzt bewußt deine Nähe, weil sie auch spürt, wie lieb du sie hast.
    Sie hat dich viele Jahre begleitet und hatte ein schönes Katzenleben. Das kann ja ein kleiner Trost für dich sein!!!
    Ich bin in Gedanken bei euch.

    Liebe Grüße von
    Elke

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