Neulich saß ich abends so geegen neun Uhr auf dem Sofa und guckte fern. Nach einer Weile fragte ich mich, wo Rosso steckt, denn der war vor ungefähr einer Stunde auf der Terrasse verschwunden und seitdem nicht mehr aufgetaucht.
Dazu muss man wissen, dass Rosso nach der dramatischen Rettungsaktion durch die Feuerwehr, die gründlich schief gegangen, aber trotzdem glücklich ausgegangen war, nicht mehr aufs Dach ging. Leider nur eineinhalb Jahre, denn im Juli kam er plötzlich auf die Idee, doch wieder aufs Dach zu klettern und zum First hochzusteigen.
Also, Rosso war auf der Terrasse, es war dunkel. Ich ging raus, um nach ihm zu schauen – kein Rosso da.
Ich holte die Taschenlampe und leuchtete aufs Dach – kein Rosso zu entdecken.
Ich rein in die Wohnung und alle Rosso-Lieblingsplätze abgesucht: unterm Sofa, unterm Bett, im Schlafzimmerschrank. Kein Rosso da! Ich habe in alle Regallücken geschaut – nichts! Ich habe natürlich mit Trockenfutterdöschen geklappert – keine Reaktion!
WO WAR DER KATER?
Mit der Taschenlampe bin ich runter in den Hof, zur anderen Hausseite gelaufen … und da hörte ich es schon: ein leises Miauen.
Ich leuchtete mit der Taschenlampe aufs Dach – da sah ich ihn. Er hockte in der Dachrinnne und miaute jämmerlich.
„Lauf das Dach rauf, Rosso!“ rief ich.
Er bewegte sich keinen Millimeter.
„Rosso, los, lauf das Dach rauf!“, rief ich verzweifelt.
Er bewegte sich keinen Millimeter.
Im Gegensatz zu vor zwei Jahren, wo er am Schneefanggitter hockte, konnte er sich dieses Mal nicht darin verheddert haben. Also, warum bewegte sich mein Kater keinen Millimeter?
Keine Ahnung!
Ich rannte in die Wohnung, um einen Besenstiel zu holen. Mit dem klopfte ich an die Dachrinne, um Rosso Angst machen und ihn dazu zu bewegen, das Dach hochzulaufen und auf der anderen Seite wieder runter – um auf unsere Terrasse zu gelangen.
Rosso bewegte sich nun tatsächlich ein paar Zentimeter – rutschte aber sofort wieder zurück. Währenddessen schrie er unaufhörlich, und im Nachbargarten kläffte ein Hund.
Was für eine Situation! Kläffender Hund im Nachbargarten, schreiender Kater in der Dachrinne. Was sollte ich tun? Wieder die Feuerwehr anrufen? Wahrscheinlich würde Rosso wieder vor Angst vom Dach springen.
So eine Scheiße!
„Was ist denn hier los?“
Christine, meine übernächste Nachbarin, Besitzerin von Martl, stand neben mir. Sie hatte Katzenschreie gehört und erst gedacht, es sei ihr Martl. Doch es war nicht Martl, und nun standen wir unterhalb der Dachrinne und starrten nach oben, zu Rosso. Martl hingegen lag lässig auf dem Hof und war wohl gespannt, was da weiter passieren würde.
„Ich geh jetzt heim, hol meinen Mann vom Sofa und wir bringen eine Leite“, sagte Christine.
Prima Idee!
Mittlerweile versuchte ich noch mehrmals, mit dem Besenstiel Rosso dazu zu veranlassen, die Dachrinne zu verlassen und das Dach hochzutippeln. Er versuchte es auch, rutschte aber jedes Mal wieder zurück.
Warum, verdammt nochmal, rutschte er zurück? Die Dachziegel sind dieselben wie auf dem gesamten Dach. Warum tippelt er problemlos auf der anderen Dachseite von der Terrassenbrüstung zum Dachfirst – das sind über 5 Meter – und warum rutscht er hier ständig zurück? Die Antwort auf diese Frage kenne ich bis heute nicht …
Wenige Minuten später kommt Christine mit ihrem Mann den Hof entlang gelaufen. In den Händen eine Leiter!
Christines Mann analysiert die Sachlage, stellt die Leiter erst an die eine Seite der Dachrinne. Derweil schreit Rosso nach wie vor wie am Spieß. Sein Stimmchen überschlägt sich, und ich hoffe, er springt nicht wieder vom Dach – wie vor zwei Jahren.
Christines Mann stellt nun die Leiter an die Westseite des Daches, direkt neben die Dachrinne und die Stelle, wo Rosso hockt.
Die Leiter steht, ich klettere rauf.
Oben angelangt, packe ich Rosso am Schlafittchen und klettere die Leiter wieder runter. Vor lauter Angst hat Rosso seine Krallen in meinen Hals und in meinen Arm gebohrt. Das Blut läuft mir runter. Aber das ist mir egal. Es ist mir gelungen, meinen Kater vom Dach zu retten. Mit Christines Hilfe! Ich bin ihr und ihrem Mann so dankbar.
Eine halbe Stunde später tippelt Herr Rosso gut gelaunt durch die Wohnung – als sei nichts geschehen.
Eine weitere Stunde später liegen wir gemeinsam im Bett. Ich unter der Decke, Rosso auf der Decke. Meinen rechten Arm, der nicht mehr blutet, habe ich um ihn gelegt.
Rosso schnurrt.
Wir schlafen ein.
Seit diesem Abenteuer hat er das Dach nicht mehr betreten. Und ich hoffe und bete, dass das auch so bleibt …
PS: Warum Rosso auf dieser Dachseite wie ein Wiesel die Ziegel hochrennt und auf der anderen Seite abrutscht, wird mir ein Rätsel bleiben. Es sind schließlich die gleichen Ziegel …