Gestern im Garten

ProfilGestern war Lili sehr reduziert. Nichts mehr gefressen, kein Interesse an ihrem sonst so geliebten Thunfisch, kein Interesse an Joghurt. Sie lag nur auf dem Terrassenstuhl und schlief. Am späten Nachmittag streichelte ich mal wieder ihr Köpfchen, als sie plötzlich aufhorchte, sich erhob, auf die Terrassenbrüstung sprang, übers Dach lief und sich an der Regenrinne niederließ, dort, wo die Katzenleiter befestigt ist. Von dort starrte sie in den Garten. Minutenlang. Dann wollte ich wissen, was da los ist und ging nach unten.

Unten war die dicke Elena, und aus dem Gebüsch rannte ein Kater, Martl war’s, der Kater vom übernächsten Haus. Er rannte in den Nachbargarten, dann in den nächsten Nachbarten und watete durchs hohe Gras. Dort blieb er hocken. Und plötzlich entdeckte ich was: Moritz. Sie saßen sich eine Weile gegenüber und schauten sich an. Kein Knurren, kein Fauchen, nur anschauen. Allerdings kennen sich die beiden, seine Besitzerin sagte mir vor einiger Zeit, dass sie die pelzigen Kerle öfter zusammen in ihrem Garten sieht. Scheinen Kumpels zu sein. – Nach einer Weile legte Martl im Sinn des Wortes den Rückwärtsgang ein und zog von dannen.

Lili saß derweil immer noch oben an der Katzenleiter, machte sich nun aber auf den Weg nach unten. Dort saß sie eine Weile da, eine Weile dort, schaute links, schaute rechts, schaute gerade aus und beobachtete Moritz, der nun auch wieder in unserem Garten hockte. Er wiederum beobachtete Lili, duckte sich, nahm einen Anlauf und rannte zu Lili, die ihm gleich eine Ohrfeige verpasste.

Die beiden hockten dann noch eine Weile im Garten oder lagen im Hof rum. Moritz ging irgendwann wieder auf Strawanz, und Lili kam nach oben und legte sich wieder auf ihren Terrassenstuhl.

So gegen neun Uhr stand sie auf und tippelte zu ihrem Fressplatz. Ich streute ihr Körnchen hin, sie schnupperte, fraß aber nichts. Da kam ich auf die Idee, dass ihr die Körnchen vielleicht zu hart waren im Schlund und rief meine Nachbarin an. Ich fragte sie, ob ich von ihr Nassfutter haben könnte. Sie brachte mir zwei Schälchen und öffnete eines davon. Lili schnupperte und fing sofort an zu lecken. Sie vertilgte eine Minimenge von ungefähr zwei Esslöffeln und war dann gesättigt oder hatte keinen Appetit mehr.

Beim Fernsehen dann lag sie auf meinem Schoß, ihr Köpfchen auf meine Brust gelegt, das Pfötchen auf meinem Solarplexus. Ich sagte ihr, dass ich sie liebe und danke ihr dafür, dass sie mich vor zwölf Jahren als Adoptivmutter ausgesucht hatte. Meine eigenen Worte rührten mich so, dass ich weinen musste. Und jedes Mal, wenn ich einen leisen Schluchzer von mir gab, schien sie mich trösten zu wollen, denn sie schob ihr Pfötchen ein bisschen höher. Und sie schnurrte – sehr laut.

Da sie nachts nicht bei mir im Bett schläft, sondern auf dem Bärkissen auf dem Sofa, beschloss ich, die Nacht ebenfalls auf dem Sofa zu verbringen und holte mein Bettzeug. Ich legte mich hin, und Lili beobachte mich verblüfft. Dann sprang sie auf meine Bettdecke, schnupperte, roch vermutlich Moritz, und sprang wieder runter vom Bett.

Da holte ich das Bärkissen und legte es neben mich. Dann lockte ich sie und sie kam tatsächlich, sprang aufs Bärkissen, machte dort eine Weile den Milchtritt und ließ sich dann nieder. Auf dem Bärkissen verbrachte sie die ganze Nacht und ich schob immer wieder meine Hand zu ihr und streichelte sie. Ab und zu flüsterte ich Liebeserklärungen in ihr Öhrchen.

Heute Vormittag fuhr ich in die Tierhandlung und holte hochwertiges Futter. Ein Schälchen Babyfutter habe ich aufgemacht und es hat ihr geschmeckt. Nicht viel, aber immerhin so um die zwei Esslöffel hat sie verputzt.

Dann fuhr ich zur THP um Globuli abzuholen. Sie gab mir auch zwei Döschen Futter mit und ein Fläschchen Cat Vital, ein Ergänzungsfutter. Das sollte ich mit Spritze aufziehen und ihr irgendwie verabreichen. Das Cat Vital habe ich dann nicht auf Spritze aufgezogen, sondern auf meinen Zeigefinger getröpfelt, von dort hat sie es mit Begeisterung abgeleckt.

Später dann habe ich ihr wieder ein bisschen Futter hingestellt, sie hat gefressen.

Vorhin habe ich Joghurt mit Erdbeeren gegessen und das Schüsselchen zum Auslecken Lili hingestellt. Gestern hat sie das Schüsselchen nicht interessiert, heute hat sie es ratzeputz ausgeleckt.

Ob das alles an den Globuli liegt, die ich ihr gestern verabreicht habe – kann sein. Ob das alles ein Stillstand der Krankheit ist – keiner weiß es.

Auf alle Fälle hat die THP gesagt, ich solle Lili nicht zum Fressen überreden. Sie würde nicht verhungern. Das Nichtfressen gehöre zum Sterbeprozess wie das Nichttrinken. Wenn der Körper stirbt, brauche er keine Nahrung mehr. Das sei einfach so. Diese Information war neu und interessant für mich, denn ich dachte, wenn sie nicht frisst, verhungert sie. Dass sterbende Organe keine Nahrung brauchen, war mir nicht bewusst.

So warte ich nun ab, wie es weitergeht. Zwischendurch kullern mir die Tränen, aber auch das gehört zum Sterbeprozess. Traurigkeit ist irgendwie Balsam für die Seele – und Lili fasst das bestimmt nicht als Vorwurf oder Verzweiflung auf, sondern als Liebesbeweis. Denn nichts anderes sind meine Tränen …

Nachsatz: Das Futter, das ihr heute Nachmittag noch einigermaßen geschmeckt hat, schmeckt ihr jetzt nicht mehr, weder das eine noch das andere.

6 Kommentare

  1. Das mit dem nicht mehr „fressen wollen“ kenne ich leider von zu vielen lieben Menschen, da ist es keinen Deut anders. Und wenn ein Kätzchen mal nicht mehr frist oder nur wenig oder, oder…. Das haben wir doch täglich. Bei unseren 4ren gibt es immer eine/n die/der nix mag. Heute wieder: drei fressen begeistert, eine schmollt, sieht eh irgendwie nicht so aus wie sie soll ……… Geh ich zum TA: alles ok , BIS AUF DEN ZAHNSTEIN!!!!!!! Nächste Woche ist „Zahnarzttermin“. Wäre ich nie drauf gekommen … – wobei, wenn Bienchen gegähnt hat, sind wir fast tot umgefallen.
    Will sagen, das Fressen hat noch nichts zu bedeuten, es sei denn, es geht über Wochen. Noch hat Lili ein wunderbares Fell (aus der Ferne betrachtet), auch das ist ein wichtiger Indikator.
    Drücke DICH und wünsche euch Zeit, Zeit, Zeit!

    • Danke für den „Trost“, liebe Susanna. Aber Lili hat nicht „gerade mal“ keinen Appetit, weil sie möglicherweise Zahnstein hat. Sie hat eine tödliche Krankheit! Insofern ist der plötzliche Appetitverlust ein eindeutiges Indiz für die bislang durch Untersuchungen nicht verifizierte Krankheit.

  2. ich kenne es auch, mal schmeckt das Futter was die zwei lieben, dann wieder lassen es beide einfach unbeachtet, fressen nur Trockenfutter oder garnichts, aber dann wenn sie Hunger haben wird alles verputzt was da ist. Lili wird schon genug futtern, wenn sie mag und Hunger hat. Mach Dir deshalb keine Sorgen und sie weiß ja, es ist immer was da wenn sie möchte. Ich drücke Dir und ihr weiterhin beide Däumchen und unsere Beiden ihre Pfötchen, das sie noch lange bei Dir bleibt.
    Liebe Grüße und für heute Gute Nacht Euch beiden und auch Lieschen und Moritz.

  3. Nicht einfach, zuschauen zu müssen, aber ist es nun mal. Irgendwie ist es so schlimm, wenn das geliebte Tier nichts fressen mag. Ich habe das einmal so krass erlebt und auch mir war nicht klar, dass es was damit zu tun haben könnte, dass der Körper die Nahrung nicht braucht. Lilis Lebensgeister sind aber noch da, siehe die Ohrfeige für Moritz und sein Geruch an Deiner Bettdecke – das ist sie ganz wie immer. Ich wünsche Dir und uns allen, dass sie ihren Eigensinn noch lange behält.

    • Danke, liebe Doris, dass du mich nicht versucht, mich zu trösten. Denn da gibt es nichts zu trösten. Es ist, wie du sagt: es ist nun mal so. Das ist bitter und ich weine jeden Tag öfter einige Tränen, aber das gehört auch zu Trauer. „Wein doch nicht“, solche blöden Sätze sollten sich viele Menschen verkneifen – angesichts eines weinenden Menschen. Denn der Mensch hat sich ja nicht überlegt, was er jetzt machen könnte, ein bisschen weinen zwischendurch vielleicht … Nein, die Tränen kommen unkontrolliert, und das ist gut so. Denn sie sind Ausdruck von Gefühl.

      Traurige Grüße – von Renate (und schon weine ich wieder)

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