„Das verflixte erste Mal“

Eine Geschichte aus meinem Kurzgeschichtenbuch „Auf Samtpfoten direkt in mein Herz“. Ein prima Weihnachtsgeschenk für Katzenfreunde!

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Es ist jedes Mal dasselbe. Wirklich jedes Mal. Ist auch verständlich, weil ich ja nicht weiß, ob es dieses Mal auch so abläuft wie die anderen Male. Die Rede ist vom Freigang, vom ersten Freigang, genau gesagt. Und Moritz‘ erstes Mal ohne Leine verlief so:

Ich öffnete die Wohnungstür und hielt sie ihm auf. Er machte ein paar Schritte in den Flur. Dort setzte er sich erstmal hin, schaute verblüfft um sich und dann mich wieder fragend an. „Na, geh“, sagte ich, „du darfst raus.“ Prompt tippelte er die Treppe runter. Ich hinterher und öffnete die Haustür. Schwupps war er draußen, spurtete im Hof hin und her, schlug übermütige Haken, sprang aufs höher gelegene Blumengärtchen, raschelte durch die Sträucher, kraxelte den Stamm des Rot-Ahorns hinauf, hockte sich ins Geäst und schaute vergnügt auf mich herab. Schien ihm zu gefallen, die neue Perspektive.

Lili saß auf der Balustrade des Hochgärtchens, beobachtete interessiert die Aktivitäten ihres Nebenbuhlers und raste dann den Baum hinauf. Oben angekommen gab es lautes Gekreische, ein paar Ohrfeigen für Moritz und dann ging es Hals über Kopf den Baum wieder runter. Durch den Lärm angelockt, bog Felix um die Ecke und sauste Lili und Moritz hinterher, die mittlerweile einen Wettlauf durch den Garten angetreten hatten. Zwischendurch wurde da geschnuppert und dort der Kopf reingesteckt, einer Hummel nachgejagt, und alles in allem fand Moritz die überraschende Freiheit sehr vergnüglich.

Dann ging es ab in den Nachbargarten, wo normalerweise ein riesiger Schäferhund Wache hält. An jenem Tag hatte der wohl frei. Moritz fegte also unbehelligt durch die Blumenbeete und verschwand schließlich in einem Gebüsch. Auweia. Nach wenigen Minuten jedoch stand er wieder auf der Matte beziehungsweise auf der Straße, jagte hinter Lili her, kletterte wie ein Wiesel über den Maschendrahtzaun in den nächsten Nachbargarten und dort rauf auf die Apfelbäumchen und wieder runter. Er hatte einen Heidenspaß. Mittlerweile war auch Lieschen aufgetaucht. Offensichtlich hatte sie mitgekriegt, dass da was los war, und schaute dem Treiben neugierig zu. Schweren Herzens ging ich zurück in die Wohnung. Es war ja nicht meine erste Katze, die ich in die Freiheit entließ, aber trotzdem …

Moritz

Ungefähr eine Stunde später stand erst Lili auf der Terrassenbrüstung, kurz danach Felix. Beide starrten wie gebannt in Richtung Katzenleiter. Aha, Moritz ist im Anmarsch – hoffte ich. Die Hoffnung wurde erfüllt, munter stolzierte der kleine Racker übers Dach, warf einen Blick durch die Birke und stand kurz darauf in der Küche, wo er zur Belohnung was zu Futtern bekam. Allerdings nahm er nur ein Anstandshäppchen, sprang dann sofort wieder aufs Dach, lief flink in Richtung Dachrinne, und weg war er wieder, der kleine Schwarzbär. Seine neue Freundin, die Freiheit, rief nach ihm und er folgte ihr. Nach einer halben Stunde ging ich wieder nach unten – begleitet von Lili, der treuen Seele – und pfiff nach ihm. (Ja, ich weiß, überbesorgte Katzenmutter.) Prompt tauchte er auch unter einer Buchsbaumhecke auf, tänzelte im Zickzack über den Hof und nahm Kurs in Richtung Nachbargrundstück, wo er zielstrebig auf die Hausecke zu lief und hinter ihr verschwand. Ich beauftragte Lili, ihm zu folgen. Aber wie das so ist mit Katzen, man kann sich den Mund fusselig reden, sie gehorchen einfach nicht. Anstatt auf den kleinen Kerl aufzupassen, zog sie es vor, in die Wohnung zurückzugehen, um sich dort auf ihrem Lieblingsplatz, dem warmen Faxgerät niederzulassen. Wahrscheinlich war sie froh, dass der ungebetene Gast sich aushäusig amüsierte und sie nun endlich ihre Ruhe hatte.

Am frühen Nachmittag begab ich mich erneut nach unten und spazierte pfeifend den Trampelpfad neben dem Nachbarhaus zur nächsten Querstraße entlang. Von Moritz keine Spur. Na ja, nur keine Panik, der wird schon wieder auftauchen, beruhigte ich mich selbst. Das machte er dann tatsächlich – irgendwann am späteren Nachmittag. Ich entdeckte ihn unter dem Strauch neben der Katzenleiter. Er spielte mit einer hübschen, grün-gelb schillernden Libelle, seiner ersten Beute. Nein, stimmt gar nicht. Die Libelle war nur die erste aushäusige Beute, denn seine tatsächlich allererste war eine Maus – in der Wohnung. Allerdings keine selbst ergatterte. Lieschen hatte sie angeschleppt und mit stolzer Geste auf dem Fußboden abgelegt. Dort lag das Nagetierchen maximal zwei Sekunden, dann machte Moritz sich drüber her und Lieschen war völlig baff. So eine Dreistigkeit war ihr bis dato noch nicht untergekommen, noch nie hatte es jemand gewagt, ihr eine Maus zu klauen. Wenn, dann schon eher umgekehrt.

Nachdem die Libelle ihren Geist aufgegeben hatte, verspeiste Moritz sie mit sichtlichem Appetit. Anschließend setzte er sich mitten in den Hof, putzte sich ausgiebig und machte alles in allem einen sehr zufriedenen Eindruck. Gemeinsam marschierten wir dann nach oben in die Wohnung. Jetzt hatte er großen Appetit und putzte die ganze Schüssel leer. Damit war der erste Ausflug beendet und ohne Komplikationen über die Bühne gegangen. Gott sei Dank, man weiß ja nie … Gefahren lauern überall. Deshalb würde ich meine Leisetreter auch am liebsten in der Wohnung halten. Aber das wäre Freiheitsberaubung, und wer einmal gesehen hat, mit welcher Wonne Katzen durchs Gelände flitzen, bringt es nichts übers Herz, sie einzusperren. Vorausgesetzt, man wohnt in einer ruhigen Gegend, ohne viel und schnellen Verkehr.

Moritz-Dach

Die Katzenklappe, deren Funktion das gewiefte Kerlchen natürlich längst rausgekriegt hatte, verschloss ich die Nacht über. Ich hatte keine Lust auf Albträume von verschwundenen Katern.

92 Seiten, viele s/w-Fotos, EUR 12,00

Hier kann man das Büchlein bestellen.

3 Kommentare

  1. ich kann es nur immer wieder jedem Katzenfreund ans Herz legen, kauft die wunderbaren Bücher über Katzen und ihre Freunde. Sie sind einfach nur schön.

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