Er lief mir auf dem Golfplatz über den Weg, im wahrsten Sinn des Wortes. Es war ein heißer Sonntag im August, als ich kurz vor dem Grün Sieben plötzlich ein mir zwar bekanntes, für einen Golfplatz aber sehr ungewöhnliches Geräusch hörte. Ein Miauen. Eigentlich war es mehr ein Piepsen – wie das eines Vogels. Nach der Verursache für das Geräusch brauchte ich nicht lange zu suchen – es stammte von einer kleinen schwarzen Katze, die zielstrebig auf mich zu tippelte, so, als hätte sie auf mich gewartet.
Wie ich heute weiß, hat sie nicht nur bei mir Zuflucht gesucht, sondern auch bei anderen Golfern. Aber die hatten was Besseres zu tun, als sich um ein herrenloses Kätzchen zu kümmern. Die mussten nämlich Golf spielen. Und was kümmert den engagierten Golfer schon ein umherirrendes Kätzchen. Die Mama wird schon irgendwo in der Nähe sein, denkt der Sportler und „klack“, Abschlag.
Die Mama des kleinen, schwarzen Kätzchens war aber überhaupt nicht in der Nähe, sondern auf einem Bauernhof, weit entfernt. Damals wusste ich das noch nicht, beendete aber trotzdem mein Golfspiel. Es war mir eine Herzensangelegenheit, mich um die Kleine zu kümmern. Als sich kurz darauf herausstellte, dass meine Annahme, sie gehöre zum nahe gelegenen Gut, falsch war, nahm ich sie mit nach Hause. Mit der Absicht, sie am nächsten Tag ins Tierheim zu bringen. Was ich natürlich nicht gemacht habe. Welcher Mensch bringt schon eine Katze ins Tierheim, die ihm auf Schritt und Tritt folgt, den ganzen Abend auf seinem Schoß liegt und eine ganze Nacht lang neben seinem Kopf erst schnurrt und dann schläft. Vertrauensvoll an sein Ohr gekuschelt und die Pfötchen in seine Schulter gestibbert. Nun, solche Menschen mag es vielleicht geben, ich gehöre nicht zu dieser herzlosen Spezies. Nein, ich sah es als meine Pflicht an, diesem Kätzchen, das sich bei näherem Hinsehen als Kater entpuppte, ein Zuhause zu geben. Dass der kleine Kerl ausgerechnet dann aus dem Gebüsch gelaufen kam, als ich dort vorbei ging, konnte kein Zufall sein. Abgesehen davon glaube ich sowieso nicht an Zufälle, sondern an eine gewisse Ordnung, an eine Art von Zeitqualität. Damit meine ich nicht eine schicksalsbedingte Vorherbestimmung, sondern einfach nur, dass zu bestimmten Zeiten bestimmte Dinge passieren. Weil sie in dem Moment halt passieren müssen, weil es gerade passt und Sinn macht, auch, wenn man das in der aktuellen Situation nicht immer erkennen kann. Und mir war nun die Aufgabe zugedacht, mich um diesen verwaisten Kater zu kümmern. Sonst wäre ich auch nicht an einem Sonntag golfen gegangen – was ich normalerweise nicht mache, weil ich lieber unter der Woche spiele. Da herrscht nicht so ein Andrang.
Moritz, so taufte ich das Katerchen, war nicht nur voller Flöhe, sondern hatte auch ganz üblen Dünnpfiff. Den haben viele junge Katzen, weil sie verwurmt sind. Zumindest der Nachwuchs von Bauernkatzen, weil die Mäuse fressen und von derartigen Mahlzeiten Würmer bekommen. Obwohl der kleine Kater die Sache mit dem Katzenklo sofort begriffen hat, verteilte er einen Teil seiner Hinterlassenschaften in der Wohnung. Im Regal in meinem Arbeitszimmer, hinterm Vorhang im Wohnzimmer, manchmal auch mitten in einem Raum. Das war nicht lustig, weder für ihn noch für mich, doch ein Besuch beim Tierarzt schaffte die Probleme schnell aus der Welt. Die Flöhe ergriffen blitzartig die Flucht und der Dünnpfiff war nach wenigen Tagen auch verschwunden.
Nun hatte ich also vier Katzen. Felix, der Buddha, arrangierte sich erstaunlich schnell mit dem Familienzuwachs. Zwei Tage nur und sein Artgenosse durfte sich zu ihm kuscheln. Lieschen spielte die beleidigte Leberwurst und machte sich für mehrere Tage aus dem Staub. Nicht mal zum Futterfassen kam die gefräßige Katze nach Hause, und das will was heißen. Den größten Stress hatte und machte Lili. Sobald Moritz ihr Gesichtsfeld betrat, jagte sie entrüstet von dannen – unter wütendem Geschnorchel. Ja, richtig gelesen, Geschnorchel. Bis zu jenem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass Katzen derartige Geräusche von sich geben können. Vielleicht können es auch nicht alle, Lili allerdings beherrscht diese Tonart. Doch die schwarze Frohnatur nahm von ihrem hysterischen Getue kaum Notiz, sondern untersuchte unbekümmert und mit großem Interesse ihr neues Zuhause. Moritz fühlte sich von der ersten Stunde an heimisch in meinen vier Wänden, krabbelte in Regalen herum, beschnupperte jeden erreichbaren Gegenstand, bearbeitete begeistert die Spielmaus, die ich gebastelt und am Galeriegeländer aufgehängt hatte, dröselte mit Wonne Klorollen auf, testete die Schlafplätze der anderen drei und kreierte dann seinen eigenen Lieblingsplatz: den hintersten Blumenkasten auf dem Balkon. Dort quetschte er sich zwischen die Fuchsien und wärmte sich in der Sommersonne den Pelz. Auf die Terrasse durfte er nämlich nicht. Das schlaue Kerlchen hätte in null Komma nichts die Katzenleiter entdeckt, und weg wäre es. So schloss ich die Terrassentür. Und wie früher bei meinem Kater Fritz, der wochenlang einer anderen Katze dabei zuschaute, wie sie durch die Katzenklappe schlüpfte, ergötzte ich mich an Moritz, der mit großen Augen die magischen Kräfte seiner Mitbewohner bewunderte und sich vermutlich dachte: „Toll, die können durch Wände gehen.“ Er schnupperte zwar an der Klappe, auf die Idee, sie aufzudrücken, kam er aber nicht. Das war auch gut so, denn mein Familienzuwachs sollte seinen ersten Ausflug nicht allein unternehmen, sondern das Terrain ums Haus unter meiner Beobachtung sondieren. Angeleint! Dazu besorgte ich ein Halsband mit Leine, die ich mit einer Kordel auf ungefähr zweieinhalb Meter verlängerte. Die Leine band ich ihm um und los ging ‘s. Moritz hätte es bestimmt lustiger gefunden, ungehindert herumzuspazieren, denn er zerrte und zog, aber spannend war die Sache allemal. All die neuen Gerüche! Er schnupperte da, er schnupperte dort. Er rollte sich im Gras herum. Er hechtete Schmetterlingen hinterher. Er kroch unter Büsche. Und bei all seinen Aktivitäten wurde er von drei Augenpaaren aufmerksam beobachtet. Denn wie auf Kommando kamen Felix, Lieschen und Lili anmarschiert. Vor allem Lili, die ja sonst einen großen Bogen um Moritz machte, wich nicht von seiner Seite. Wollte vermutlich kontrollieren, was ihr Konkurrent so trieb. Oder es war schlichtweg Neugierde.
Nach einer Stunde ausgelassenen Hin- und Herspringens war es Zeit, Moritz die Sache mit der Katzenleiter zu erklären und ich setzte ihn drauf – mit Leine, was ein Fehler war. Er preschte zwar gleich nach oben, sein Weg führte aber nicht in die Wohnung, sondern weiter aufs Dach. Ich stürzte ebenfalls nach oben, über die normale Treppe natürlich, und hielt auf der Terrasse Ausschau nach ihm. Er hockte auf dem Dachfirst und schaute munter in die Gegend. Ich versuchte, ihn anzulocken, doch den kleinen Kerl kümmerte mein Rufen nicht, er verschwand auf die andere Dachseite. Hektisch rannte ich wieder nach unten. Moritz hockte neben der Kaminkehrerleiter und zerrte an der Leine – die hatte sich irgendwo in der Halterung verhakt. Na, bravo.
Irgendwie schaffte er es dann, die Leine zu lösen und marschierte zurück auf die andere Dachseite. Ich spurtete wieder nach oben. Und was sah ich? Moritz, der schon wieder an der Leine zog, denn die hatte sich jetzt in den Ziegeln verhakt. Er zog und zog, aber dieses Mal steckte die Leine endgültig fest. So ein Mist. Ich traue mir ja allerhand zu, aber auf einem Dach herumrennen – nein, da überwiegt die Vernunft. Ich hörte ein Auto in den Hof fahren und eilte nach unten. Mein Nachbar. Zu zweit standen wir da und starrten aufs Dach. Moritz zog und zerrte, aber nichts passierte, und mein Nachbar kratzte sich am Kopf. Ich überlegte gerade, die Feuerwehr anzurufen, als unser Hausmeister des Weges kam. Ein junger Kerl, na ja, so jung auch nicht mehr, aber doch deutlich jünger als ich. Und sportlich. Wenige Minuten später stieg er von der Terrassenbrüstung aufs Dach, lief leichtfüßig über die Ziegel und befreite Moritz aus seiner misslichen Lage.
Uff, das war ja noch mal gut gegangen und der erste Ausflug glimpflich beendet.
Die Geschichte ist aus „Auf Samtpfoten direkt in mein Herz“