Frederik und Oskar

Frederik Suter bekam mit 17 Jahren die Diagnose „Neurofibromatose Typ 2“. Das ist eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, die Tumore im gesamten Nervensystem verursacht. Jeder Mensch mit dieser Erkrankung sieht sich mit verschiedensten Problemen konfrontiert.

Frederik muss mit vielen Einschränkungen leben, unter anderem hört er nichts mehr, und vor einigen Wochen ist sein geliebter Kater Oskar von einem Auto überfahren worden.

Hier Frederiks Gedanken, mit denen er sich von Oskar verabschiedet.

Die doppelte Dosis

Juli 21

Lieber Oskar,

kannst du dich an den 5. Juli 2021 erinnern? Du warst mal wieder unterwegs, es war fast schon 11 Uhr abends. Ich hab mich schon ins Bett gelegt, mir meine Boxershorts und T-Shirt angezogen. Plötzlich leuchtet mein Handydisplay auf, ‚private Nummer‘ ruft an. Ich lehne ab. Was war das denn? Wenig später nochmal. Ich geh dran, sage ‚ich bin taub‘, lege auf. Denke das war dumm. Nochmal Anruf, diesmal sage ich ‚ich bin taub, bitte bei WhatsApp schreiben‘. Dann klingelt es wohl an der Tür und wenig später kommt meine Mitbewohnerin ins Zimmer, schaut ernst und sagt was von Oskar, eine Geste, die ich nicht verstanden hab, und ‚Polizei‘. ‚Bitte nochmal, ich glaube, ich habe dich falsch verstanden‘ sage ich. ‚Oskar überfahren, Polizei da‘.

Sofort war ich am Bettrand gesessen, zog mir eine Hose an und stapfte vom Zimmer zum Wohnzimmer, sagte den zwei Polizisten: ‚Moment, ich setze mich an den Küchentisch‘. Schritte der Unendlichkeit mit einem unglaublichen Schmerz in der Brust. Was? Wie? Wo? Warum? Warum mein lieber Oskar? Ich konnte es nicht glauben, irgendwie hatte ich auch Hoffnung etwas anderes ist passiert.

Als ich saß, nahm ich mein Handy zur Transkription. Einer der Polizisten sagte: ‚Es tut uns leid ihnen mitteilen zu müssen dass ihre Katze überfahren wurde‘ ich versuchte Fassung zu bewahren, war erstmal schockiert und schwieg. Irgendwann: ‚Wo?‘ Mainaustraße. ‚Wir haben ihn dabei, wollen sie ihn behalten oder sollen wir ihn mitnehmen und entsorgen?‘ ich musste überlegen. War etwas irritiert. ‚Entsorgen? Mein Oskar?‘ ich sagte: ‚Ich würde ihn gerne erst nochmal sehen‘ und hatte noch die klitzekleine Hoffnung, dass er es nicht war. ‚Gut, der Körper ist ja noch ganz, nur etwas Blut kommt aus dem Maul‘. ‚Mir egal‘ dachte ich, ‚zeigt mir Oskar!‘ Ein Polizist holte einen blauen Sack, ‚wohin?‘ Ich sagte ‚Terrasse‘, dort wurde er langsam aufgemacht und mit der Taschenlampe beleuchtet. Er zog einen Handschuh an und hob ihn hoch. Ich erkannte Oskar sofort beim Liegen schon. Die Gewissheit setze sich fest, der Schock saß tief. ‚Sieht aus als ob er schläft‘ murmelte ich und lächelte ein bisschen. Ich strich ihm nochmal über den Körper, ganz kurz. Ganz warm war er noch. Das Herz pocht nicht mehr?‘, wollte ich mit dem letzten Funken Hoffnung wissen. Kopfschütteln. Ich fragte: ‚Kann ich den Kontakt vom Fahrer haben?‘ der Polizist fing an: ‚Dem kann man aber keinen Vorwurf machen…‘ Ich unterbrach: ich möchte mich bei ihm bedanken, dass er die Polizei gerufen hat…‘ der Fahrer wurde angerufen ob ich Kontakt haben darf. Kurzes Telefonat ‚Ja. Genau. Neee. Okay … Ja, ok, tschüss!“ Die Nummer stand auf dem Zettel. ‚Heute nicht mehr, aber morgen nach der Arbeit können Sie gerne anrufen‘, ‚OK, damit ist unser Job erledigt‘. Ich bedankte mich und versuchte einzuschlafen. Nach ein paar Stunden klappte es.

Ich werde nie vergessen, wie du:

– erst Angst, immer mehr Mut hattest, z.b. beim Klingeln der Tür, erst liefst du weg, dann immer hin

– Beim Wunsch nach dringender Aufmerksamkeit seitlich leicht in die Kniekehle gebissen hast

– verrückt nach Federn warst (daher hast du deinen Gebärdennamen ‚Hai‘, denn dann warst du so im Zerstörermodus wie ein Hai, der Blut gerochen hat)

– anfingst auf deinen Namen zu hören und kamst (wenn du Lust hattest)

– Mit deinem Hängebauch gewackelt hast bei leichtem Galopp

– Dich in Kartons gesetzt geliebt, oder sie in kleine Stücke zerknabbert hast

– Küchenrollen erledigt hast

– mit deiner Nase meine Faust angestupst hast wenn du betteltest

– Dich unter Decken versteckt hast

– Taschen, Jacken etc. von Gästen sofort beschlagnahmt und darauf gesetzt hast

– komplett stur dich nicht vom Bett oder Sitzplatz hast verdrängen lassen

– bei Leckerlis die Krallen ausgefahren hast

– Dich im Bett neben mir anschmiegt hast und hingeplumpst ist und dich einfach mal komplett nichts gestört hat mit vollem Vertrauen

– manchmal sogar Küsschen gab oder auf mir lagst, Kopf an Kopf

– Wie du es hasstest, hochgehoben zu werden, aber allmählich immer länger im Schoß auf dem Stuhl sitzen bliebst

– Verrückt geworden bist beim Federstab in der Sofaritze oder unter dem Kissen

– Stolz die Federangel weg getragen hast, wenn du sie mal wieder unter vollem Körpereinsatz weggezogen hast, bis der Stab brach oder die Schnur riss (meistens unters Sofa)

– mit einem ‚Miau‘ signalisiert hast, dass du es nicht mehr aushältst, Leckerlis oder essen zu bekommen, rauszugehen

– Dein vibrierendes Schnurren im absoluten chill-modus

– morgens Begrüßung, sobald ich Tür aufmache ins Bett gehüpft bist 

– Deine Begrüßung, wenn ich Mal weg war und nachhause kam, manchmal mit vorwurfsvollem ‚Miau’

– Deine Tritte beim Kraulen des Bauches mit den Hinterbeinen aus dem Nichts, plötzlich beginnend und endend

– Oder den Klamottenschrank den du liebtest auszuräumen

– …


Der Schmerz war groß. Aber auch das Wissen war da, dass die Trauer Zeit braucht. Um nicht in die depressive Abwärtsspirale zu gelangen, habe ich meine Dosis Antidepressiva verdoppelt.

Habe auch beschlossen, deinem Bruder Odin die doppelte Dosis Liebe zu geben.
kater

Danke für deine Liebe, die du mir gegeben hast!

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Damit Oskars Bruder Odin nicht so allein sein muss, hat Frederik nun Lucy adoptiert.

lucy

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